Arbeitsmigrant*innen: von „healthy migrants“ zu chronisch Kranken

Etwa jede 20. Arbeitskraft weltweit ist zugewandert. Anfangs handelt es sich meist um besonders gesunde, fitte Menschen, über die Jahre aber verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand oft.

Etwa 164 Millionen Menschen arbeiten weit weg von zu Hause, schätzt die International Labour Organization (ILO) anhand von UN-Daten; das sind 4,7% aller Arbeitskräfte weltweit. Wie geht es ihnen gesundheitlich, worauf sollte die Arbeitsmedizin bei ihnen ein besonderes Augenmerk richten? Eine europäisch-australische Arbeitsgruppe des EU-geförderten EU COST Action OMEGA-NET hat die Studienlage zur Arbeitsmigration gesichtet.

Im Einzelnen ist die Situation von Arbeitsmigrant*innen natürlich recht unterschiedlich: Werden sie vorübergehend oder dauerhaft beschäftigt? Sprechen sie die Sprache des Gastlandes? Welche Ausbildung, welche Hautfarbe, welchen Aufenthaltsstatus haben sie? Mehrheitlich arbeiten die Zugezogenen aber in Baugewerbe, Landwirtschaft, Reinigung, Transport, Gesundheitswesen und Körperpflege. Typische „3-D-Jobs“: „dirty, dangerous and demanding or demeaning“ („schmutzig, gefährlich und anstrengend oder erniedrigend“). Dazu gehören oft schlechte Bezahlung, lange Arbeitszeiten, hohe Exposition (zum Beispiel gegenüber Chemikalien) und fehlende Ausbildung.

Frisch eingetroffene Arbeitsmigrant*innen sind oft gesünder als der Bevölkerungsschnitt im Gastland. Vermutlich ein „healthy migrant effect“: Nur gesündere, kräftige Menschen wagen den Schritt ins Unbekannte – oder Eingangsuntersuchungen der Gastländer selektieren gleich selbst die Fitteren heraus. Sind die Menschen dann aber länger im Gastland beschäftigt, verschlechtert sich ihre Gesundheit zunehmend; teilweise vielleicht infolge eines ungesunden Lebensstils, zu einem größeren Teil aber als Folge schlechter Arbeitsbedingungen und eines limitierten Zugangs zur Gesundheitsversorgung. Auch dort, wo ihnen das Gesundheitssystem offensteht, können Probleme wie Sprachbarrieren und mangelnde Information die Inanspruchnahme erschweren.

Migrierte Beschäftigte haben ein deutlich höheres Risiko für Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsschäden. Beschäftigte in Landwirtschaft, Friseursalons, Nagelstudios oder Pflege leiden häufiger unter berufsbedingten Erkrankungen als Einheimische in ähnlichen Jobs; möglicherweise haben sie bei der Arbeit eine höhere Exposition.

Auch psychische Probleme und psychiatrische Erkrankungen sind in dieser vulnerablen Gruppe häufiger; darunter Depression, Angst, Stress, Burnout, Tagesmüdigkeit, Schlaflosigkeit, chronische Erschöpfung und Gewalt. Risikofaktoren sind u.a. Sprachprobleme, kulturelle Unterschiede, geringe Jobzufriedenheit, Trennung von der Familie, Mobbing am Arbeitsplatz, soziale Ausgrenzung, lange Arbeitszeiten und ein geringes Einkommen.

Wenig Studien gibt es zu Langzeitfolgen der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Migrierten – besonders, wenn sie nach einigen Jahren ins Heimatland zurückkehren. So ist kaum bekannt, ob bei ihnen Spätfolgen wie Krebserkrankungen oder Pneumokoniose häufiger auftreten.

Eine gute arbeitsmedizinische Begleitung kann dazu beitragen, die Gesundheit der Arbeitsmigrant*innen zu erhalten. Dabei hilft es, die speziellen Risiken dieser Beschäftigten im Blick zu haben.

Quellen

Aktas E, Bergbom B, Godderis L et al.: Migrant workers occupational health research: an OMEGA-NET working group position paper. Int Arch Occup Environ Health 2022; 95 765–777

 

NP-DE-MLV-BRFS-220010, Okt. 2022