ChatGPT in der Arbeitsmedizin: Schöne neue Welt?

ChatGPT war im vergangenen Jahr eins der Topthemen weltweit. Welche Bedeutung hat der KI-Chatbot für die Arbeitsmedizin?

Angesichts der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts kann einem schon manchmal schwindelig werden. Noch vor wenigen Jahren war kaum vorstellbar, wie weit Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) bald sein würden. Wirkt sich das auch auf die Arbeitsmedizin aus?

Die tunesische Arbeitsmedizinerin Chayma Sridi und ihr Kollege Salem Brigui haben überlegt, welche Bedeutung ChatGPT für die Arbeitsmedizin haben könnte. Der Chatbot hat im vergangenen Jahr Furore gemacht mit Text- und Bildkreationen, die auf maschinellem Lernen beruhen. Er könnte, so Sridi und Brigui, Daten sammeln über die Exposition von Beschäftigten gegenüber chemischen, physikalischen und psychischen Faktoren – über eine interaktive Abfrage am Arbeitsplatz und/oder über Textanalysen verschiedener Quellen. Daraus könnte er dann Berichte erstellen und maßgeschneiderte Empfehlungen zum Arbeitsschutz abgeben – und so Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner entlasten.

Als virtueller Assistent könnte ChatGPT Beschäftigten, Arbeitgeber*innen und betriebsmedizinischem Personal Fragen beantworten, schnellen Zugang zu Inhalten verschaffen und international gemischten Teams bei der Verständigung in verschiedenen Sprachen helfen. Außerdem könnte es für Fortbildungszwecke interaktive Lehrmaterialien erstellen. Alles in allem also die Effizienz, Analyse und Kommunikation in der Arbeitsmedizin verbessern.

Wer die Anwendung ausprobiert hat, weiß allerdings um ihre Tücken. ChatGPTs Antworten auf Fragen etwa sind oft mehr oder weniger frei erfunden. Maschinelles Lernen ist keineswegs intelligent – was immer der Name suggerieren mag. So schnell sind menschliche Gehirne nicht zu ersetzen.

Die Autor*innen zählen zahlreiche mögliche Fallstricke bei der Anwendung von ChatGPT auf: Wird das System bei Entscheidungen für medizinische Interventionen herangezogen, können falsche Informationen folgenschwere Konsequenzen haben. Daneben gibt es ethische Bedenken und datenrechtliche Sorgen: Was passiert mit den Daten, mit denen ChatGPT arbeitet? Wer hat Zugang zu ihnen? Und wer kontrolliert, was mit ihnen passiert? Auch in Fortbildungen können Falschinformationen (im Bereich der KI als „Halluzinationen“ bezeichnet) vorkommen.

Wer die Anwendung nutzt, tut also gut daran, das eigene Denkorgan nicht auszuschalten. „Kritisches Denken und der Abgleich KI-generierter Inhalte mit zuverlässigen Quellen sind von entscheidender Bedeutung“, schreiben die Kolleg*innen. Clever angewandt, kann KI uns in Zukunft wahrscheinlich Arbeit abnehmen. Die Ergebnisse sollten aber nie ungeprüft übernommen werden.

Und dann gibt es natürlich noch eine ganze Reihe arbeitsmedizinischer Aufgaben, die eine Software (selbst wenn sie weiter dazulernt) vermutlich nie erfüllen kann: den direkten Kontakt zu Menschen etwa, das Gesamtbild erfassen, Informationen gewichten und in Zusammenhänge stellen. Sridi und Brigui kommen zu dem Schluss: „ChatGPT kann die entscheidende Rolle der Arbeitsmediziner*in bei der medizinischen Überwachung der Beschäftigten und der Interaktion mit Beschäftigten, die persönliche Unterstützung oder Beratung benötigen, der spezifischen Kenntnis des Unternehmens und seiner arbeitsbedingten Risiken sowie der Analyse von Daten über die Gesundheit der Arbeitnehmer*innen nicht ersetzen.“

 

Quellen

Sridi C, Brigui S: The use of ChatGPT in occupational medicine: opportunities and threats. Ann Occup Environ Med 2023; 35: 342

 

NP-DE-MLV-BRFS-240002, Jan. 2024