Quecksilber und kein Ende: Was haben wir aus Minamata gelernt?

1956 fielen Tausende Menschen der Minamata-Bay-Katastrophe zum Opfer. Die Geschichte der Menschen mit Quecksilber fängt jedoch schon viel früher an – und sie ist noch lange nicht zu Ende.

Quecksilber gefährdet unsere Gesundheit – und es ist praktisch überall. Die WHO hat es als eine der Top-10-Chemikalien für die öffentliche Gesundheit eingestuft. Trotz eines gestiegenen Bewusstseins für die Gefahren durch Quecksilber steigen die Emissionsmengen weiter an; in erster Linie eine Folge menschlicher Einflüsse. Die Minamata Convention on Mercury trägt dem Rechnung: Der völkerrechtliche Vertrag, der 2017 in Kraft getreten ist, soll die Emissionen und Freisetzung des Schwermetalls eindämmen. Das ist naturgemäß in der Theorie leichter als in der Praxis; die Thematik ist komplex und oft eng mit anderen Themen verbunden. Und manches wissen wir noch gar nicht so genau; das Wissen über Quecksilber und seine Folgen entwickelt sich immer noch weiter.

Eine internationale Arbeitsgruppe hat den Weg der Quecksilber-Forschung nachgezeichnet: von der Auswertung tragischer Vergiftungsfälle in der Mitte des 20. Jahrhunderts über epidemiologische Studien hin zu Quellen-Expositions-Szenarien in den vergangenen Jahrzehnten.

Quecksilber und seine Verbindungen werden schon sehr lange von Menschen genutzt; Quellen belegen die Verwendung bereits mehrere hundert Jahre v. Chr. in China, Indien und der arabischen Welt. Auch damals gab es Vergiftungsfälle. Dramatisch ins öffentliche Bewusstsein gelangte das Schwermetall aber vor allem nach tragischen industriellen Ereignissen wie der Minamata-Bay-Katastrophe: Methylquecksilber-haltige Abwässer einer Fabrik verseuchten 1956 die Minamata-Bucht in Japan, zahlreiche Menschen entwickelten nach dem Konsum von Fisch und Schalentieren vor allem neurologische Symptome (die „Minamata-Krankheit“), Tausende starben.

Die erste große Welle der Quecksilber-Forschung wurde deshalb vorrangig von der Arbeitsmedizin vorangetrieben. In Deutschland sind Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen seit 1964 als Berufskrankheit (BK 1102) anerkannt. Zahlreiche präventive Maßnahmen schützen inzwischen Beschäftigte am Arbeitsplatz vor übermäßigem Kontakt – beispielsweise in der industriellen Produktion und bei der Verwendung von Amalgam in der Zahnmedizin.

Weltweit nimmt die Quecksilber-Belastung aber weiterhin zu – in allerdings regional sehr unterschiedlichem Maß. Die Eindämmung muss globale und lokale Bedingungen unbedingt einbeziehen, fordern die Autor*innen des Reviews; etwa hohen Fischkonsum in kleinen Inselstaaten, Folgen des Klimawandels und prekäre Arbeitsbedingungen bei der Goldgewinnung und der Abfallverwertung. Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen sind besonders von diesen Problemen betroffen, aber auch reiche(re) Länder sind weiterhin gefordert, die Quecksilber-Exposition einzudämmen. Das Thema bleibt ein globales.

Die Forschung zu Quecksilber und seinen Auswirkungen auf Gesundheit und Lebensbedingungen geht weiter. Aus Sicht der Review-Autor*innen sollte sie interdisziplinär sein. Die Arbeitsmedizin wird auch weiterhin eine große Rolle spielen. Forschungsfragen, die anstehen: Wie wirkt sich die Minamata Convention auf die Quecksilberbelastung aus? Wie reagiert das Schwermetall in Kombination mit anderen toxischen Substanzen? Und wie können gesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Nutzen und Risiken gegeneinander abgewogen werden?

Quellen

Basu N, Bastiansz A, Dórea JG et al.: Our evolved understanding of the human health risks of mercury. Ambio 2023; 52: 877–896

 

NP-DE-MLV-BRFS-230010, Okt. 2023